Asmita: Das Ego und die Illusion der Trennung in der Yoga-Praxis
- Lisa Tichy
- 4. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Im Yoga sprechen wir oft von verschiedenen Hindernissen auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Eines dieser Hindernisse ist „Asmita“, das Sanskrit-Wort für „Ich-Gefühl“ oder „Ego“. Asmita ist ein Konzept, das uns in unserer Yoga-Praxis und im täglichen Leben immer wieder begegnet, denn es beschreibt die Illusion, die uns glauben lässt, dass wir getrennt sind – von anderen, von der Welt und letztlich von unserer eigenen wahren Natur.

Was bedeutet Asmita?
„Asmita“ lässt sich als „Ich-Gefühl“ übersetzen, und es ist die Tendenz, uns mit unserem physischen Körper, unseren Gedanken, Gefühlen und Handlungen zu identifizieren. In diesem Zustand sind wir uns selbst nicht als das unendliche, unteilbare Bewusstsein bewusst, sondern sehen uns als getrennte, individuelle Einheiten. Diese falsche Identifikation mit dem „Ich“ ist eine der zentralen Ursachen für das Leiden und die Unzufriedenheit im Leben.
Asmita kann sich in vielen Formen äußern: im Stolz, in der Überidentifikation mit der eigenen Rolle oder im ständigen Vergleich mit anderen. In der Yoga-Praxis ist es das, was uns daran hindert, in den Zustand der absoluten Verbindung mit uns selbst und der Welt um uns herum zu gelangen.
Das Yoga-Sutra 2.6 und der Zusammenhang zu Asmita
Im „Yoga-Sutra“ von Patanjali finden wir im zweiten Kapitel (YS 2.6) eine prägnante Beschreibung von Asmita:
„Anhaftung an das unbewusste Ich führt zu falschem Verstehen und hindert uns an höherer Erkenntnis.” (YS 2.6)
In diesem Sutra beschreibt Patanjali, dass Asmita entsteht, wenn der Geist beginnt, sich mit den Gedanken und Vorstellungen zu identifizieren, die er erschafft. Diese Gedanken und Projektionen können uns dazu verleiten, uns mit unserem „Ich“ zu identifizieren, das nur ein flüchtiger Ausdruck unseres Bewusstseins ist. Wenn wir uns mit diesen Projektionen identifizieren, verlieren wir den Zugang zu unserer wahren Natur, die über das Ego hinausgeht.
Asmita in der Yogapraxis
In der Yogapraxis wird uns Asmita oft deutlich, wenn wir beginnen, unsere Übung mit einem bestimmten „Ich-Gefühl“ oder einer Erwartung zu verbinden. Wir denken vielleicht, dass wir in einer bestimmten Haltung „gut“ oder „schlecht“ sind oder zumindest nicht dem Bild, das Instagram uns oft vorgibt, entsprechen. Von diesen Gedanken lassen wir uns ablenken. Der Stolz auf unsere Flexibilität oder die Frustration über eine für uns schwierige Pose sind ebenfalls Manifestationen von Asmita.
Ein weiterer wichtiger Aspekt von Asmita in der Yogapraxis ist die Idee der Trennung. Oft sehen wir uns als getrennt von den anderen in der Klasse oder von der Umgebung, in der wir praktizieren. Wir vergessen, dass Yoga nicht nur eine körperliche Übung ist, sondern eine spirituelle Praxis, die uns mit uns selbst und allem verbindet.
Wenn wir uns in der Praxis von Asmita befreien, wird die Yoga-Praxis zum Raum der Begegnung mit uns selbst und einer Erfahrung von Verbundenheit, Ruhe und Frieden in uns. Wir lernen, die Asanas nicht aus einem „Ich muss das können“ heraus zu üben, sondern aus einem Zustand der Offenheit, des bewussten Zuhörens und des Hingebens. Wir üben, uns nicht mehr mit dem Körper oder den Gedanken zu identifizieren, sondern sind präsent im Jetzt und erkennen, dass unsere Essenz in Wahrheit das reine Bewusstsein hinter all dem sind.
Asmita im Alltag
Auch im täglichen Leben zeigt sich Asmita immer wieder. Es sind die Momente, in denen wir uns von unseren Gedanken und Überzeugungen über uns selbst leiten lassen, anstatt aus einem Zustand des inneren Friedens heraus zu handeln. Asmita kann uns dazu bringen, uns mit äußeren Faktoren zu messen, sei es der Beruf, das Aussehen oder der Besitz. Diese ständige Suche nach Bestätigung im Außen führt oft zu Stress, Angst und Unzufriedenheit.
Um dem entgegenzuwirken, ist es hilfreich, regelmäßig in sich zu gehen und sich zu fragen: „Wer bin ich, wenn ich all diese äußeren Identifikationen (Mama, Schwetser, Tochter, Angestellte, Chefin, Yogalehrerin, ...) mal für einen Moment außenvorlasse? Wenn ich keine Erwartungen und Meinungen über mich gerecht werden oder widerlegen möchte?“ Diese Fragen können uns helfen, uns von der Anhaftung an Statussymbole und Rollen zu befreien und eine tiefere Verbindung zu unserer wahren Natur zu erleben.
Fazit
Asmita ist ein zentrales Thema auf dem Yoga-Weg und eine der größten Herausforderungen, die wir sowohl in der Praxis als auch im Leben überwinden müssen. Indem wir uns von der falschen Identifikation mit dem „Ich“ befreien, kommen wir unserem wahren Selbst näher und können Frieden und Harmonie in uns und mit der Welt um uns herum erfahren. In der Yoga-Praxis lernen wir, das Ego zu erkennen, es aber nicht zu unserem einzigen Bezugspunkt zu machen. Stattdessen öffnen wir uns der tieferen Wahrheit, dass wir mehr sind als unser Körper, unsere Gedanken oder unsere Geschichte.
Das Yoga-Sutra 2.6 erinnert uns daran, dass Asmita die Identifikation mit dem Geist und seinen Projektionen ist. Indem wir diese Projektionen erkennen und loslassen, können wir den Weg zu einem erfüllten und freudvollen Leben gehen.