top of page

Die Vier Brahmaviharas: die inneren Qualitäten

In der Yogapraxis geht es nicht nur um die körperlichen Asanas oder Meditation, sondern auch um die Entwicklung innerer Qualitäten, die unser Leben und unsere Beziehungen prägen. Eine dieser fundamentalen Qualitäten sind die Brahmaviharas, die vier Bewusstseinsqualitäten, die auch als die „Vier unermesslichen Zustände“ bezeichnet werden. Diese sind: Mettā bzw. Maitrī (Liebende Güte), Karuṇā (Mitgefühl), Muditā (Mitfreude) und Upekṣā (Gleichmut). In diesem Blogartikel werden wir diese vier Prinzipien ausführlich erklären und ihren praktischen Bezug zum Alltag erläutern, um sie in unsere Yogapraxis und unser tägliches Leben zu integrieren.


maitrī karuṇā mudito-pekṣāṇāṁ-sukha-duḥkha puṇya-apuṇya-viṣayāṇāṁ bhāvanātaḥ citta-prasādanam (YS 1.33)
"Das meinende Selbst wird klar, wenn wir uns aus innerer Überzeugung jeweils freundlich, hilfsbereit, begeisterungsfähig und verzeihend gegenüber Menschen verhalten, die sich in Situationen des Glücks, des Unglücks, des Erfolgs und Miserfolgs befinden."

Maitri/ Metta – Liebende Güte


Metta bedeutet im Wesentlichen „liebende Güte“ oder „unbedingte Freundlichkeit“. Es ist der Wunsch, dass alle Wesen glücklich sind und Wohlstand erfahren. Metta ist die Grundlage für eine heilsame und unterstützende Gemeinschaft und wird oft als das Gegenteil von Feindseligkeit oder Missgunst betrachtet.


Wie kann Maitri im Alltag angewendet werden?


Maitri oder Metta zu üben, bedeutet, bewusst Freundlichkeit und Liebe zu allen Wesen zu kultivieren – nicht nur zu denen, die uns nahestehen oder uns sympathisch sind, sondern auch zu denen, mit denen wir Schwierigkeiten haben. Eine einfache Möglichkeit, dies in den Alltag zu integrieren, ist, mit positiven Gedanken und Wünschen zu beginnen.


Zum Beispiel:


  • Wenn du morgens aufwachst, kannst du dir selbst den Wunsch schicken: „Möge ich glücklich und gesund sein.“

  • Wenn du auf der Straße an fremden Menschen vorbeigehst, kannst du in deinem Geist den Wunsch formulieren: „Mögest du Frieden und Glück erfahren.“

  • In stressigen oder herausfordernden Situationen, wie einem Konflikt mit einem Kollegen oder einem Familienmitglied, kannst du innehalten und dir selbst und der anderen Person diesen Wunsch senden.


Durch die Praxis der Metta können wir uns von negativen Gedankenmustern wie Ärger oder Groll lösen und mehr Frieden und Harmonie in unserem Leben finden.


Frau vor See hat die Augen geschlossen und greif mit ihrer Hand an ihr Herz - ein Moment der Achtsamkeit

Anleitung zur Metta-Meditation:


  1. Finde einen ruhigen Ort: Setze dich dort aufrecht hin und schließe deine Augen.

  2. Lenke deine Aufmerksamkeit zu deinem Atem. Lass dich mit jedem Atemzug mehr in der Stille ankommen.

  3. Formuliere liebevolle Wünsche für dich selbst:

    • „Möge ich glücklich sein.“

    • „Möge ich gesund sein.“

    • „Möge ich in Frieden leben.“

    • „Möge ich frei von Sorgen und Ängsten sein.“

  4. Erweitere die Metta auf einen geliebten Menschen. Visualisiere diese Person vor dir und wiederhole die gleichen Wünsche für sie:

    • „Mögest du glücklich sein.“

    • „Mögest du gesund sein.“

    • „Mögest du in Frieden leben.“

    • „Mögest du frei von Sorgen und Ängsten sein.“

  5. Erweitere die Metta auf neutrale Personen. Denke nun an eine Person, mit der du wenig bis keine emotionale Verbindung hast und wiederhole die gleichen liebevollen Wünsche für diese Person.

  6. Denke an eine Person, mit der du einen Konflikt oder negative Gefühle hast. Versuche, Mitgefühl für diese Person zu entwickeln, auch wenn es schwer fällt. Wiederhole die gleichen Wünsche für diese Person.

  7. Erweitere die Metta auf alle Lebewesen. Du kannst die vorstellen wie du von oben auf unseren Planeten schaust und die liebende Güte einmal um die komplette Erdkugel legst. Wiederole auch hier die Sätze:

    • „Möge alles Leben glücklich sein.“

    • „Möge alles Leben gesund sein.“

    • „Möge alles Leben in Frieden leben.“

    • „Möge alles Leben frei von Sorgen und Ängsten sein.“

  8. Beende die Meditation:Nimm noch einen Moment, um die positive, liebevolle Energie zu spüren, die du durch die Meditation erschaffen hast. Atme tief ein und aus, bevor du langsam die Augen öffnest und wieder ins Hier und Jetzt zurückkehrst.



Karuna - Mitgefühl


Karuna ist das Mitgefühl – das Einfühlen in das Leid eines anderen und der Wunsch, diesem Leid ein Ende zu setzen. Karuna entsteht, wenn wir die Schmerzen und das Leid der anderen erkennen und den inneren Impuls verspüren, ihnen zu helfen, diesen Schmerz zu lindern. Es ist mehr als einfaches Mitleid; es ist die aktive Bereitschaft, den anderen zu unterstützen und zu heilen.


Wie kann Karuna im Alltag angewendet werden?


Im Alltag kann Mitgefühl sehr praktisch sein. Es geht nicht nur darum, den Schmerz anderer zu erkennen, sondern auch zu handeln.


Zum Beispiel:


  • Du schenkst jemandem, der traurig oder gestresst aussieht, ein offenes Ohr.

  • Du bietest Hilfe an, wenn jemand in Not ist, sei es in der Form von emotionaler Unterstützung oder praktischer Hilfe.

  • Du gehst mit dir selbst nicht nur in den Momenten von Glück und Erfolg, sondern auch in den Zeiten von Schwierigkeit und Schmerz liebevoll und fürsorglich um.


Karuna in der Yogapraxis


In der Yoga-Praxis zeigt sich Karuna durch die achtsame Haltung, sich nicht nur mit den angenehmen Asanas zu beschäftigen, sondern auch mit denen, die herausfordernder oder anstrengender sind. In diesen Momenten kannst du die Praxis aus Mitgefühl für deinen Körper und deinen Geist fortsetzen und dir erlauben, liebevoll mit deinen eigenen Begrenzungen umzugehen.

Frau mit geschlossenen Augen und Hand auf dem Herz ist in Verbindung mit sich und der Natur. Wind bläst durch ihre Haare.

Mudita – Mitfreude


Mudita ist die Freude über das Glück und den Erfolg anderer. Oft erleben wir bei den Erfolgen anderer Menschen Neid oder Missgunst. Mudita hilft uns, diese negativen Gefühle loszulassen und stattdessen die Freude der anderen mitzufühlen. Es ist die Fähigkeit, sich über das Gute im Leben anderer Menschen zu freuen, ohne dabei auf uns selbst zu schauen.


Wie kann Mudita im Alltag angewendet werden?


Mudita zu praktizieren bedeutet, uns aktiv gegen negative Gedanken wie Neid oder Eifersucht zu stellen und stattdessen mit offenen Armen das Glück anderer zu begrüßen.


Zum Beispiel:


  • Bei der Beförderung eines Kollegen oder dem Erfolg eines Freundes denkst du nicht in Wettbewerb, sondern freust dich ehrlich mit.

  • Du feierst die Erfolge und Errungenschaften anderer Menschen in deinem Umfeld und teilst ihre Freude, als wäre es deine eigene.

  • Wenn du dich schlecht fühlst oder Missgunst in dir aufkommt, wenn jemand anderes Erfolg hat, stelle dir die Frage: „Wie kann ich mich für diese Person mitfreuen und ihr Erfolg als Inspiration sehen? Warum hat diese Person diesen Erfolg verdient?"


Mudita fördert ein Gefühl der Verbindung und des Wohlwollens. Es hilft uns, uns von der toxischen Dynamik des Konkurrenzdenkens zu befreien und stattdessen die Freude zu teilen.



Upeksha – Gleichmut


Upeksha bedeutet Gleichmut – ein Zustand innerer Ausgeglichenheit, der weder von Freude noch von Leid übermäßig beeinflusst wird. Es ist die Fähigkeit, inmitten von Unbeständigkeit und Wandel ruhig und gelassen zu bleiben. Upeksha bedeutet, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, ohne unnötige Anhaftung oder Ablehnung.


Wie kann Upeksha im Alltag angewendet werden?


Gleichmut ist besonders wichtig, um mit den Höhen und Tiefen des Lebens in einer gesunden Weise umzugehen. Es geht darum, das Leben zu akzeptieren, wie es kommt, und sich nicht in übermäßige Reaktionen zu verlieren.


Zum Beispiel:


* Versuche in stressigen oder schwierigen Situationen ruhig zu bleiben und dich nicht von deinen Emotionen überwältigen zu lassen. Zum Beispiel mithilfe von Pranayama.

* Erinnere dich daran, dass nichts im Leben ewig bleibt – weder Schmerz noch Freude. Diese Akzeptanz hilft dir, mit Veränderungen besser umzugehen.

* Bleibe in Beziehungen mit einem offenen, aber nicht anhaftenden Herzen, was bedeutet, Liebe zu geben, aber ohne den anderen zu kontrollieren oder zu erwarten, dass sie sich in einer bestimmten Weise verhalten.


Upeksha in der Yogapraxis


In der Yogapraxis manifestiert sich Upeksha, wenn du während einer herausfordernden Pose ruhig bleibst und den Atem als Anker nutzt, um die Haltung ohne Anstrengung und ohne zu urteilen zu halten. Diese innere Haltung der Gelassenheit unterstützt nicht nur die Praxis, sondern auch das Leben selbst.


Fazit: Die Brahmaviharas


Die Brahmaviharas sind nicht nur abstrakte Konzepte, sondern tiefgreifende Prinzipien, die in unserem täglichen Leben Anwendung finden können. Sie erinnern uns daran, dass wahre Freiheit und innerer Frieden nicht nur durch äußere Umstände, sondern auch durch unsere innere Haltung entstehen. Indem wir liebevolle Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut von der Matte in unseren Alltag bringen, können wir ein Leben führen, das von Verbundenheit, Zufriedenheit und innerer Ruhe geprägt ist – und das nicht nur für uns selbst, sondern auch für alle Wesen um uns herum.


Eine regelmäßige Yogapraxis kann uns helfen, diese vier Bewusstseinsqualitäten zu entwickeln. Wenn wir uns mit dem Körper verbinden, die Atmung beobachten und achtsam in den Moment eintauchen, schaffen wir Raum, in dem diese edlen Qualitäten wachsen können. Sie sind das Fundament für ein Leben, das im Einklang mit uns selbst und der Welt um uns herum steht.

Logos_2-12.png
bottom of page