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Abhinivesha: Die Angst vor Verlust


Im Yoga begegnen uns oft Begriffe, die nicht nur den physischen Körper, sondern auch den Geist und das Bewusstsein betreffen. Einer dieser Begriffe ist Abhinivesha – eine der fünf Kleshas (Hindernisse) im Yoga. Abhinivesha bedeutet „die Angst vor dem Verlust“ oder „die Furcht vor dem Tod“. Diese Angst ist nicht nur auf den physischen Tod bezogen, sondern auch auf den Verlust von etwas, das wir als Teil unserer Identität wahrnehmen. Es ist eine tiefe, unbewusste Furcht vor Veränderungen, Verlust und dem Unbekannten.


Das Yoga-Sutra 2.9:

Frau steht am Meer und streckt beide Arme aus. Sie fühlt sich frei und ist von der Sonne angestrahlt

Im zweiten Kapitel der Yoga Sutras von Patanjali beschreibt Patanjali die Kleshas (Hindernisse) und nennt Abhinivesha als eines davon:

„Abhinivesha ist die tief verwurzelte Angst vor dem Tod, die den Menschen bindet, selbst wenn er seine intellektuellen, emotionalen und körperlichen Prozesse unter Kontrolle hat.“

Diese Angst ist tief im menschlichen Wesen verankert, sie ist ein grundlegendes Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Der Mensch klammert sich an alles, was ihm vertraut ist, sei es ein positiver Zustand, ein Besitz oder eine Beziehung, aus der Angst, sie zu verlieren.


Abhinivesha in der Yogapraxis


In der eigenen Yogapraxis können wir Abhinivesha auf verschiedene Weisen erleben. Es kann sich als Widerstand gegen Veränderungen zeigen, sei es in der Form von körperlicher oder geistiger Starre. Vielleicht spüren wir eine Blockade in einer bestimmten Asana oder merken, dass wir in bestimmten Meditationstechniken immer wieder in den gleichen Gedankenstrudel verfallen. Oft sind diese Widerstände ein Spiegelbild von Ängsten – sei es die Angst vor dem Scheitern, vor Unvollständigkeit oder die Angst vor dem Loslassen von Dingen, die wir zu sehr an uns gebunden haben. Auch bei fortgeschrittener Yoga- oder Meditationspraxis erfahren wir diese Angst manchmal, in dem Moment wenn unser Verstand Angst hat sich aufzulösen. Dann nehmen wir wahr, dass wir es uns nicht erlauben tiefer in die Erfahrung der Asana oder der Meditation zu sinken und halten uns mit unserer Ausmerksamkeit ganz energisch bei unserem Körper oder den Gedanken.


Ein konkretes Beispiel könnte sein, dass du dich während einer herausfordernden Yogastellung nicht entspannen kannst, weil du Angst hast, den „Kontrollverlust“ zu erleben. Dies kann die Form von Anspannung und Überkompensation im Körper annehmen, was es schwierig macht, wirklich loszulassen. Diese Erfahrung im Yoga kann uns jedoch lehren, dass Veränderung und das Loslassen der Schlüssel zu innerem Frieden sind.


Um diese Angst in der Praxis zu überwinden, können wir gezielt an den Dingen arbeiten, die uns Unbehagen bereiten. Mit einer bewussten Atmung und achtsamen Wahrnehmung können wir lernen, den Widerstand zu erkennen und zu transformieren. Wir lernen, dass Veränderung nicht zwangsläufig negativ ist, sondern oft der Weg zu einer tieferen Verbindung mit uns selbst und der Welt um uns herum führt.


Abhinivesha im alltäglichen Leben


Abhinivesha zeigt sich auch in unserem täglichen Leben. Es ist die Angst vor Veränderungen, die uns oft an vertrauten, aber ungesunden Routinen festhalten lässt. Wir fürchten uns vor dem Unbekannten, sei es in unseren Beziehungen, unserer Karriere oder unseren persönlichen Gewohnheiten. Diese Angst kann uns dazu bringen, in der Komfortzone zu bleiben, selbst wenn wir wissen, dass wir uns weiterentwickeln sollten.


Stell dir vor, du stehst vor einer wichtigen Entscheidung – vielleicht möchtest du einen neuen Berufweg einschlagen oder eine bedeutende Veränderung in deinem Leben vornehmen. Die Angst vor dem Scheitern oder davor, etwas zu verlieren, was dir vertraut ist, könnte dich davon abhalten, diesen Schritt zu wagen. Hier zeigt sich Abhinivesha – der Drang, an dem Alten festzuhalten, weil es sicher erscheint, selbst wenn es uns nicht mehr dienlich ist. Es ist auch hier die Angst vor dem Sterben - dem Sterben alter Versionen und Anteile.


Doch genau wie im Yoga lehrt uns das Leben, dass der einzige Weg, uns wirklich zu entwickeln, der Weg des Loslassens ist. Indem wir die Ängste und Widerstände anerkennen, die uns im Alltag begleiten, können wir beginnen, sie zu transformieren und mutigere Entscheidungen zu treffen. Oft ist es der Schritt in das Unbekannte, der uns die größten Wachstumschancen bietet.


Abhinivesha überwinden


Abhinivesha kann nicht einfach „überwunden“ werden, sondern muss mit Mitgefühl und Achtsamkeit bearbeitet werden. Im Yoga lernen wir, dass es nicht darum geht, die Ängste zu eliminieren, sondern sie zu akzeptieren und mit ihnen zu arbeiten. Indem wir uns auf die Praxis der Selbstakzeptanz und der Präsenz im Moment konzentrieren, können wir lernen, uns von der Furcht vor dem Verlust zu befreien und ein tieferes Vertrauen in das Lebens zu entwickeln.


Es ist hilfreich, in der Yoga-Praxis und im Leben selbst eine innere Haltung der Flexibilität und Offenheit zu entwickeln. Indem wir uns der Veränderung hingeben und den natürlichen Fluss des Lebens akzeptieren, können wir die Ängste, die uns oft lähmen, Stück für Stück auflösen.


Fazit


Abhinivesha ist ein mächtiges Konzept im Yoga, das uns auf eine tiefere Ebene der Selbstreflexion führt. Indem wir uns der Angst vor Verlust und Veränderung bewusst werden, können wir in unserer Yogapraxis und im Leben außerhalb der Matte einen Weg der Transformation finden. Die Akzeptanz der Vergänglichkeit und das Vertrauen in den Prozess des Lebens ermöglichen es uns, uns zu befreien und ein erfüllteres, freieres Leben zu führen.

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