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Loslassen & Vertrauen: Die Essenz von Bhagavad Gītā 2.47

In unserer modernen Welt sind wir es gewohnt, ständig Ergebnisse zu erzielen. Wir wollen erfolgreich sein, Fortschritte machen, Ziele abhaken.Dieses Muster trägt sich unbemerkt auch in unsere Yogapraxis hinein: Wir wollen eine Position perfektionieren, tiefer dehnen, länger halten, schöner dabei aussehen.

Doch Yoga ruft uns zu einer anderen Haltung auf. In der Bhagavad Gītā, einem der ältesten Weisheitstexte Indiens, heißt es:

„karmaṇy evādhikāras te mā phaleṣu kadācanamā karma-phala-hetur bhūr mā te saṅgo ’stvakarmaṇi“ Du hast das Recht auf Arbeit, aber nie auf die Frucht von Arbeit. Du sollst dich nie auf Handeln des Lohnes willen einlassen, noch sollst du nach Untätigkeit verlangen haben. (Bhagavad Gītā 2.47)

Diese Worte sind ein Schlüssel zur yogischen Haltung. Sie lehren uns, dass Yoga nicht bedeutet, ein Ziel zu erreichen, sondern präsent zu sein und mit uns selbst in Verbindung zu kommen.


Frau meditiert auf einem Felsen am Bergsee. Bergpanorama im Hintergrund

Der Weg des Karma Yoga

In der Yogaphilosophie wird immer wieder betont, dass wir im Kern vollkommen sind. Unser wahres Selbst, Atman, ist unveränderlich, still, friedlich. Die Praxis des Yoga dient dazu, diesen inneren, ruhigen Kern wieder wahrzunehmen.


Warum gelingt uns das so selten? Weil unser Geist ständig auf das Außen fixiert ist:

  • „Wie gut mache ich das?“

  • „Was bringt es mir?“

  • „Bin ich schon weit genug?“


Diese Haltung wurzelt oft in einem tiefen Kontrollbedürfnis. Wir wollen die Früchte unseres Tuns beeinflussen, festhalten, absichern. Aber indem wir uns so sehr an die Früchte klammern, verlieren wir den Kontakt zum gegenwärtigen Moment.

Das Ergebnis kontrollieren zu wollen ist ein Versuch, Unsicherheit zu vermeiden.

Yoga erinnert uns daran, dass Leben immer auch Veränderung und Loslassen bedeutet. Ergebnisse sind niemals vollkommen sicher. Wenn wir stattdessen die Gegenwart umarmen, bewusst handeln und loslassen, finden wir eine viel größere Sicherheit in uns selbst.


Warum ist es so wichtig nicht anzuhaften?

Anhaftung an Ergebnisse bindet uns – geistig wie emotional. Sie erzeugt Angst und Druck, weil wir alles daran setzen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Gleichzeitig macht sie uns unruhig, weil wir in Gedanken schon in der Zukunft leben und den jetzigen Moment kaum spüren.

Diese Getriebenheit kennen viele:

  • Wir wollen immer irgendwo ankommen.

  • Wir wollen immer „besser“ werden.

  • Wir haben Angst, nicht gut genug zu sein, wenn wir etwas nicht erreichen.

  • Wenn ich das erreicht habe, dann...


Diese Haltung lässt uns jedoch nie wirklich zur Ruhe kommen. Yoga lädt uns ein, genau dieses Muster zu durchbrechen. Wenn wir die Anhaftung an die Früchte loslassen, dürfen wir wieder frei und friedlich atmen. Wir dürfen die Handlung selbst genießen, ohne Angst vor einem bestimmten Resultat.

Ergebnisse sind nicht immer in unserer Hand, aber das Handeln selbst schon. Wenn wir ohne Anhaftung handeln, werden wir ruhiger, freier und präsenter.

Das ist die Essenz von Karma Yoga: Handeln, aus vollem Herzen, in voller Präsenz — und dann loslassen.


Dein Warum und die Lehren der Gita

Aus der modernen Persönlichkeitsentwicklung kennen wir das Konzept „Kenne dein Warum und du erreichst jedes Ziel“. Wie passt das nun zur Lehre der Nicht-Anhaftung an die Früchte des Handelns, wie es Krishna Arjuna in der Bhagavad Gita (2.47) beschreibt?

Auf den ersten Blick wirken diese Ansätze widersprüchlich — aber bei genauerem Hinsehen lassen sie sich tiefer und weise miteinander verbinden.


Kenne dein Warum - was ist gemeint?

Buchausschnitt mit Überschrift "The Power of Why"

Wenn du weißt, warum du etwas tust – also deine innerste Motivation kennst –, bleibst du dran, auch wenn es anstrengend wird. Dein „Warum“ ist wie ein innerer Kompass, der dich durch Rückschläge hindurchträgt. Was passiert aber mit dieser Motivation, wenn wir jegliche Hoffnung auf den gewünschten Output loslassen? Die Antwort liegt in unserer Intention aus reinem Herzen, einer wahrhaftigen, integren Absicht.


Plakative Beispiele:

  • Ich übe Yoga. Übe ich Yoga, um „gut“ darin zu sein und die Asana Instagram-reif zu praktizieren, damit mich Menschen bewundern? Oder übe Yoga, des Übens willen, um dich zu zentrieren, mit dir selbst in Verbindung zu kommen?

  • Ich gründe mein Business: Gründe ich mein Business, um viel Geld zu verdienen und meinen materiellen Besitz zu maximieren und werfe dabei alle ethischen und moralischen Grundsätze über den Haufen? Oder gründe ich mein Business, um Gutes zu tun, einen Beitrag zu leisten und damit nicht nur mir, sondern möglichst vielen Lebewesen zu dienen?


Es geht also um ein sinngetragenes Handeln statt einem rein zielfixiertem Handeln.


Bhagavad Gītā 2.47 – Was meint Krishna wirklich?

Die Gītā sagt nicht: „Handle ohne Grund.“ Sie sagt: „Handle – aber sei nicht verhaftet am Ergebnis.“

Das bedeutet: Tu, was dir richtig erscheint. Tu es mit einem klaren Herzen, aus einem inneren Antrieb heraus — aber nicht, weil du glaubst, nur das Ergebnis macht dich glücklich oder wertvoll.


Die Brücke zwischen beiden Konzepten

Wenn wir „das Warum kennen“, handeln wir mit Sinn und innerer Ausrichtung. Wenn wir dabei aber nicht an das Ergebnis gebunden sind, bleiben wir frei, präsent und offen.

Das moderne „Warum“ entspricht im Yoga dem „Dharma“ – deinem inneren Weg, deinem Platz im großen Ganzen.

Der Unterschied ist nur:

  • Im westlichen Denken ist das Ziel oft noch verbunden mit Erfolg oder Sichtbarkeit.

  • In der Yoga-Philosophie geht es um das stimmige, aufrichtige Handeln an sichdie Haltung zählt mehr als das Ergebnis.


Die Synthese

Kenne dein Warum – aber sei nicht verhaftet am Wie und Wann der Erfüllung.

Handle aus deiner inneren Wahrheit – nicht aus Angst, nicht aus Druck.

Vertraue: Wenn dein Handeln aus dem Herzen kommt, trägt es Früchte – vielleicht nicht die, die du erwartet hast, aber oft tiefere, heilsamere und wichtige für deinen Lebensweg.


Oder im Bezug auf deine Yogaprais: Übe mit Hingabe, ohne Anhaftung – und du wirst nicht das Ziel erreichen, sondern dich selbst.


Reflexionsfragen

  • Wo versuche ich im Leben zu sehr, alles zu kontrollieren?

  • Mit welcher Intention handle ich in bestimmten Situationen? Kann ich es mir ehrlich eingestehen, wenn ich nur der Früchte wegen handele? Wie sähe mein Handeln aus, wenn ich mich von diesem Outcome löse?

  • Was passiert, wenn ich loslasse und darauf vertraue, dass ich mein Bestes gegeben habe?

  • Wie fühlt es sich an, wenn ich einfach nur da bin, ohne etwas erreichen zu wollen?

  • Welche Ängste liegen unter meinem Drang, ein Ergebnis zu sichern?

  • Wie kann ich heute bewusster und verwurzelt bleiben, mitten im Leben?


Einladung für die Yogapraxis

Frau in Yoga Asana gedrehte Pyramide

So wie wir im Leben immer irgendwo ankommen wollen, wollen wir auch auf der Matte oft etwas erreichen: tiefere Vorbeugen, intensivere Rückbeugen, schönere Formen, längeres Halten. Auch hier ist es nicht das Ziel das zählt, sondern deine Haltung auf dem Weg. Übe also nicht, um etwas zu erreichen. Übe einfach, um zu üben. Erlebe jede Bewegung, jeden Atemzug, ohne Ziel, ohne Urteil. Übe so, wie es dir heute möglich ist, ohne an das Ergebnis zu denken.

Wie fühlt es sich an, wenn du jede Haltung aus diesem Bewusstsein heraus praktiziert? Kannst du mit jedem Atemzug ein bisschen präsenter werden — auf deiner Matte, in deinem Körper, mit dir selbst?


Fazit

Bhagavad Gītā 2.47 ist wie ein Kompass für ein freieres, ruhigeres Leben. Yoga erinnert uns daran, dass die wahre Kraft im gegenwärtigen Augenblick liegt — dort, wo wir bewusst verwurzelt sind, im Körper, im Atem, im Herzen. Dort dürfen wir handeln, mit Hingabe und Klarheit, ohne uns an das Ergebnis zu ketten.

So entsteht die Essenz des Yoga: ruhige Gedanken, ein friedvoller Geist und ein Gefühl tiefer Verbundenheit — mit uns selbst, mit dem Leben, mit allem, was ist.

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